Vor sehr langer Zeit habe ich angekündigt einen Blogeintrag über das Ankommen zu Hause zu schreiben. Tatsächlich haben mich viele treue Blogleser immer wieder darauf angesprochen. Sogar in meinem Bewerbungsgespräch kam die Frage nach dem fehlenden zweiten Blogeintrag auf.
Anfangs konnte ich mich mit der Aussage „Es geht mir viel zu nah“ und später mit „Ich hab viel zu viel zu tun“ aus der Affäre stehlen. Nun tragen diese zwei Aussagen nicht mehr. Besonders die letzte. Ich hocke auf dem Klippeneck, das Wetter taugt nicht zum Fliegen, es ist kalt, nass und auch sonst gibt es praktisch nichts zu tun… Dann mal los
Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Schritte auf europäischen Boden. Wir liefen in Zürich aus dem Terminal und es war kalt und grau. Ein krasser Gegensatz zum indischen Frühling, der in sich uns in all seiner Pracht zeigte. Irgendwie war es schön die Landschaft meiner Heimat, nach so langer Zeit wieder zu sehen, auf der anderen Seite zeigte mir keiner der Hegauberge sein Haupt, da sie alle in dicke Wolken verhangen waren.
Zu Hause angekommen lief ich mit Florian das Grundstück ab, ging kurz in den Schuppen und am Ende kurz vor an die Straße mit dem Blick zur Kirche. Irgendwie war alles ganz gewohnt aber unwirklich zu gleich.
In dieser Weise spielte sich auch die kommende Zeit ab. Viele Momente waren sehr schön und emotional, wie das Wiedersehen mit Familie, Freunden oder das Telefonat mit meiner Oma, da ich während meiner Selbstquarantäne nicht zu ihr runter wollte. Aber irgendwie konnte ich alles nicht so wirklich fassen.
An die Phase des „Nichtfassenkönnens“ schloss sich keine Zeit der Entrüstung an, wie ich zuerst vermutete, sondern ehr eine Phase des Wunschdenkens und der Träumerei.
Ich stellte mir vor wie alles gelaufen wäre, wenn Corona schlichtweg nicht passiert wäre. Meine ganzen Projekte, Wünsche und Planungen versuchte ich in meinem Kopf real zu machen. An anderen Tagen träumte ich davon wie es sein wird, wenn ich zurück nach Indien komme. Wenn ich wieder das ganze Chaos vor Augen hätte, die alten Taxen in Kalkutta, die Kolonialbauten und die Bazare. Auch wie schön es sein wird, wenn ich all die Leute aus meinem Einsatz wieder treffe. Nach dem ich diesen Tagträumen einige Zeit nachgegangen bin, fand ich mich wieder in der Realität wieder und stellte mit Ernüchterung fest, dass es alles nur ein Tagtraum war und fühlte mich wie ausgelaugt. Oft endeten diese Spielereien mit dem Gedanken „Wie gerne wäre ich nur dort…“
Wenn ich im Nachhinein auf diese Zeit zurückschaue, erkenne ich eine starke Ähnlichkeit zur Convalescence des heiligen Ignatius von Loyola, der Gründer der Gesellschaft Jesu. Nach seiner Verwundung brachte er Monate auf dem Krankenbett zu und hatte mehr Zeit über sein Leben nachzudenken als ihm Recht war. Auch er verstrickte sich oft in Gedankenspiele darüber, wie er nach seiner Gesundung wieder zu Ruhm und Macht kommen könnte und in gleichem Maß, was gewesen wäre wenn die Schlacht von Pamplona mit dem Sieg seiner Truppen geendet hätte. Auch er erlebte, wie ihn diese Gedanken fesselten und trösteten und im Anschluss ausgelaugt verließen. Diese Erfahrung, war für ihn der erste Schritt, seine Seele zu verstehen.
Die äußeren Gegebenheiten unterstützen diese Traumphase, da das gesellschaftliche Leben wie es alle durchgemacht haben, weitest gehend lahm gelegt war. Ich hatte keine Arbeit und es gab praktisch kein Vereinsleben. Außerdem verlief auch meine Jobsuche zu diesem Zeitpunkt sehr zäh. Auch mit Freunden traf ich mich aufgrund der Kontaktbeschränkungen nur von Zeit zu Zeit. Gut war, dass ich zu dieser Zeit mit den Jesuiten Online Exerzitien machte, bei denen ich mir täglich eine Stunde für das Gebet rausnahm.
Die Exerzitien begann ich mich mit dem Gedanken, dass nach all dem Erlebten nun Zeit dafür wäre, alles zu ordnen, die Erlebnisse, Gedanken, Gegebenheiten, etc. Ich ging offen an diese Zeit heran, gleichzeitig aber auch ohne große Gedanken. Es zeigte sich, dass es gut ist, ohne große Erwartungen an Exerzitien zu gehen, denn in diese Zeit eröffneten sich mir sehr viele Dinge.
In den ignatianischen Exerzitien, die für vier Wochen ausgelegt sind, ist die dritte Woche für die Betrachtung der Passion und der eigenen Sünde vorgesehen. In dieser Woche trieb mich viel um. Ich überlegte, was in meinem Leben Felder sind, in denen ich mehr auf Gott hin wachsen muss. Dieses Getreibe und Gesuche ermattete mich so sehr, dass es sich zum Ende hin, wie in einem Knall löste. Ich merkte für mich selbst, dass es nicht gut ist, ständig in Träumereien und Gedankenspielen zu verweilen. Ich erkannte es als meine Aufgabe, eine Brücke zu schlagen, zwischen dem Erfahrenen hinein in meine Welt in Deutschland. Ich musste wieder aus einer passiven in eine aktive Rolle wechseln.
Das war nun die Aufgabe für die kommende Zeit. In der Zwischenzeit war ich über einen Freund an einen Job gekommen, was meinem Alltag wieder Ordnung und Struktur gab. Auch normalisierte sich die Situation wieder sukzessive und so passten die Rahmenbedingungen gut zu dem was ich mir vorgenommen hatte. Auch meine pragmatische Art half mir unterwegs.
Jedoch verlief auch dieser Wegabschnitt nicht ohne Probleme. Immer wieder kam ich an Punkte, an denen mich einfach alles ankotzte. Wo ich von der Freiheit, die ich Indien erlebt habe träumte, genauso von den Menschen mit denen ich gelebt habe und auch von der einmaligen grünen Natur. Auch die Erfahrung, dass sich immer weniger Menschen für meine Zeit in Indien interessierten kratzte.
Ich denke in dieser Zeit war es am schwierigsten mich zu ertragen. Da, ich meine Gefühle nicht gut verbergen kann, war es offenkundig sichtbar wie es mir gerade ging. Ich fühlte mich in Indien mehr zu Hause als in Deutschland und drückte das auch immer wieder lautstark aus. Das dies verletzend für mein Umfeld hier ist, das sich um mich mühte konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht verstehen. Nun muss ich mich dafür ehrlich entschuldigen. Ich fühlte mich teilweise als Außenseiter. Im Verlauf dieser Zeit kam ich an den Punkt, an dem ich mir die Frage stellte: „Eigentlich schadet mir die Zeit in Indien nur, weil sie mich belastet und niederdrückt, wieso lasse ich sie nicht einfach hinter mir und betrachte sie als abgeschlossen?“ Aber auch das brachte mich nicht weiter, da ich Gott sei dank nicht in der Lage war, diese so bedeutende Zeit einfach wegzuschmeißen.
Was mir unglaublich in dieser Zeit half, war der Austausch mit meinen Mitfreiwilligen, die eigentlich alle die gleiche Erfahrung teilten. Auch halfen mir meine Eltern sehr dabei, die mir immer ein offenes Ohr schenkten. Der Austausch half mir zur verstehen, dass ich nicht alleine bin. Ein Rat der mich besonders unterstützte kam von einer ehemaligen Freiwilligen, mit der ich seit meiner Vorbereitungszeit immer wieder Kontakt hatte. Sie meinte zu mir, dass ich die Zeiten, in denen ich mich nach Indien sehnte und mich in Deutschland unheimisch fühlte, einfach zu lassen solle. Ich solle es zu lassen, dass es mir dann einfach mal beschissen geht, denn die Unterdrückung meiner Gefühle, würde mir nur schaden. Es war gut, dass ich so meinen Weg weitergegangen bin, denn ich bin mit dadurch nun zu einem guten Ergebnis gekommen.
Am Ende dieser Reise des Abschiednehmens, an der ich mich nun angekommen fühle kann ich auf ein gutes Resultat schauen. Ich schaue mit Dankbarkeit auf meinen Freiwilligendienst zurück und weiß, um das was ich aus dieser Zeit in mich integriert habe. Werte, Blickwinkel, Erfahrungen, Gepflogenheiten und viele weitere Dinge habe ich in meine Person eingebettet. Gleichzeitig lebe ich hier in Deutschland habe wieder meinen Platz gefunden und bin dankbar über meine Familie und Freunde und gehe meinen Weg, eben mit den Sachen die mir Indien geschenkt hat, und mit diesem Land und seinen Menschen in meinem Herzen.
Ich bin sehr froh wieder mit vielen Leuten unterwegs zu sein, die mir auch vor meinem FSJ sehr wichtig waren und so mein Privat-, Vereins- und kirchliches Leben zu gestalten. Indien bleibt ein Teil von mir auch hier in Deutschland. Auch bin ich weiterhin in gutem Kontakt mit meinen Freunden und Bekannten in Baghmara und Umgebung und weiß, dass wir im aneinander Denken und im Gebet sehr eng verbunden sind. Ich weiß, dass meine Zeit in Indien mich verändert hat und es mich zu der Person gemacht hat die ich jetzt bin. Eigentlich ist es unmöglich ausreichend dankbar für all das zu sein, keine Worte können es ausdrücken. Und so lebt Indien in mir weiter und strahlt nicht nur für mich sondern auch aus mir Heraus, in der Hoffnung, dass auch andere Menschen hier in Deutschland ihre Schlüsse aus dem Ziehen, was ich erlebt und erfahren habe, so wie ich es tue.
Und was mich weiter trägt ist, dass ich wieder kommen werde. Ich verschwende mittlerweile keine Gedanken mehr daran, wie es sein wird, sondern erwarte es mit Vorfreude. Ich weiß, dass der Tag kommen wird, an dem ich aus dem Terminal in Kalkutta laufe und sich mir dieses große Land wieder auf eine ganz neue aber bekannte Weise zeigen wird.
In diesem Sinne bedanke ich mich bei allen die mich auf vielfältige Weise durch meinen Freiwilligendienst begleitet haben. Danke an alle treuen Blogleser, die sich über meine Einträge gefreut haben. Vielen Dank auch an alle die mich und meine Organisation Jesuit Volunteers finanziell Unterstützt haben. Euch Allen „Namaste!“ hindi für „Ich verbeuge mich vor dir!“